Ein ganzes Jahr lang Probe.

[29.11.2019] Die Schülerin Lena Schubert will ihr größtes Hobby zum Beruf machen: Singen und eigene Lieder schreiben. Aber wie gelingt der Sprung zur professionellen Singer-Songwriterin, ohne dass dabei die Leichtigkeit verloren geht? Talentscout Svenja Löhe von der Hochschule Bochum begleitet die 16-jährige auf ihrem Weg.

Lena Schubert am Piano
Singen und eigene Lieder schreiben! Die Schülerin Lena Schubert will ihr größtes Hobby zum Beruf machen.

Von Marie Illner

Klassische Probenräume liegen meist im Keller, haben vielleicht ein Schlagzeug in der Mitte, bunte Bandplakate an der Wand und vermutlich lauter Liedzettel auf dem Boden. Klassische Proben finden kurz vor den Auftritten statt und dauern wenige Stunden. Bei Lena Schubert ist das alles anders. Die Oberstufenschülerin probt ein ganzes Jahr lang, wie es sich anfühlt, alles auf die Karte „Singen als Beruf“ zu setzen – und das in einem Raum voller Möglichkeiten. Wie sieht das aus?

„Ich singe, seit ich sprechen kann“, sagt die 16-Jährige und lacht, denn die Frage nach den Anfängen ihrer Leidenschaft wird Lena häufig gestellt. Wirklich überraschend ist der Weg, den sie nun gehen will, in der Rückschau nicht: Schon als Kindergartenkind macht das Mädchen LKW-Laderampen zur Bühne, singt für die ganze Nachbarschaft Konzerte, später gründet sie eine eigene Schulband, nimmt Klavier- und Gesangsunterricht.

„Ich brenne für die Musik. Sie ist mein Ventil, mein Tagebuch, einfach mein allergrößtes Hobby“, sagt die Schülerin des Nikolaus-Ehlen Gymnasium in Velbert. Mit ihrem „allergrößten Hobby“ einmal Geld zu verdienen und es zum Beruf zu machen – das ist Lenas größter Wunsch.

Und da kommt Svenja Löhe ins Spiel. Die studierte Erziehungswissenschaftlerin ist Talentscout an der Hochschule Bochum und begleitet in dieser Funktion junge Talente auf ihrer Suche nach dem richtigen Zukunftsweg. 70 Scouts von Löhes Art gibt es in ganz NRW, allein acht von ihnen sind angebunden an die Hochschule Bochum. In enger Kooperation mit Schulen erarbeiten die Scouts mit den jungen Talenten mögliche Zukunftsvisionen und führen sie an die Hochschullandschaft heran. Besonders Kinder aus nicht-akademischen Haushalten stehen im Fokus.

„Talent kann vielfältig sein. Ich helfe Schülern dabei, ihr Potenzial auszuschöpfen und berate sie ergebnisoffen“, erklärt die 29-jährige Löhe, die das Gesangstalent bei einer Beratungsstunde am Gymnasium in Velbert kennengelernt hat. Dort unterhält die Hochschule Bochum seit zehn Jahren einen Außenstandort. Mit dutzenden Liedtexten, Videoaufnahmen und funkelnden Augen ließ sich Löhe damals schnell von Lenas Leidenschaft überzeugen, auch die Chemie zwischen Scout und Talent stimmte von Anfang an. „Lena soll nun von einer sicheren Position aus einen Zeh ins Wasser des Musikgeschäftes halten können und für sich selbst herausfinden, ob sie sich dabei wohlfühlt“, beschreibt Löhe die Zusammenarbeit. Behutsam und ohne Pflicht zur Entscheidung soll er sein, dieser „Proberaum“, gleichzeitig entfesselt und großgedacht.

Vom stillen Kämmerlein auf die große Bühne

Talentscout Svenja Löhe begleitet Lena Schubert auf ihrem Weg.
Talentscout Svenja Löhe (li.) begleitet Lena Schubert auf ihrem Weg.

Heißt konkret: Raus auf die Bühne - Auftritte, Selbstvermarktung, Kontakteknüpfen. „Ein Jahr lang wollen wir einfach mal gucken, was alles möglich ist und dann Bilanz ziehen“, erklärt Löhe. Möglich war bislang schon einiges: Löhe organisierte einen Auftritt bei „Next Generation Talents“ – einem Kongress, auf dem sich Talente mit Gästen aus Politik, Hochschule und Behörden über Zukunftsthemen austauschten. Lena schrieb einen eigenen Song, sang vor hunderten Zuschauern, und: Überzeugte. Direkt nach dem Auftritt folgten die ersten Anfragen aus dem Publikum, die nächsten Auftritte bei Messen und Preisverleihungen waren gesichert.

Dennoch gilt: Der Weg vom „stillen Kämmerlein auf die große Bühne“, wie Lena ihn selbst nennt, ist nicht leicht. Er besteht nicht nur aus klatschendem Publikum, beherzten Komplimenten und Fanplakaten. „Ich war vor den ersten Auftritten total aufgeregt“, berichtet das blonde Mädchen mit Pferdeschwanz. „Jetzt werde ich auf der Bühne immer sicherer, auch, weil Svenja immer im Publikum sitzt“, so Lena weiter.

Nachwuchstalente abholen

Weitere Hürden sind zu nehmen: „Um mit Musik erfolgreich zu sein, reicht es nicht, gut singen zu können“, sagt Lena und streicht sich eine Haarsträhne hinter das Ohr. Sie kramt in ihrer Tasche, befördert ihr Handy hervor und scrollt, bis sie das Zitat der Musikgruppe „The Knocks“ gefunden hat, nachdem sie gesucht hat: „Um 2019 ein erfolgreicher Künstler zu sein, musst du ein Grafikdesigner, Blogger, Vlogger, Video Editor, Podcaster, Designer, Kreativchef, Schauspieler, Marketingspezialist, Social-Media-Analyst sein - und vielleicht ein Musiker“, liest sie vor. „Ganz schön viel, was man können muss. Noch bin ich all das nicht“, sagt sie mit realistischem Blick. „Das sehe ich aber als Herausforderung“, schiebt Lena hinterher.

Deshalb hat Löhe Lena vor fast einem Jahr dort abgeholt, wo sie damals stand. Seite an Seite haben Scout und Talent dort ihren gemeinsamen Weg gestartet – hin zu mehr Struktur, mentaler Unterstützung und weniger jugendlicher Unsicherheit. „Wir sind häufig per Messenger oder telefonisch in Kontakt und treffen uns monatlich. Gerade basteln wir an einer eigenen Homepage für Lena“, berichtet Löhe, die rund 300 Nachwuchstalente zu ihrem Portfolio zählt. Mittlerweile sagt Lena mit Stolz: „Ich kann etwas, das andere nicht können.“

Songaufnahme im Studio

Große Vorbilder hat das Mädchen auch, berühmt sein müssen sie aber nicht. So zählt beispielsweise die australische Singer-Songwriterin Angie McMahon dazu. Am liebsten singt Lena Lieder aus den Bereichen Pop und Jazz. „Meine eigenen Songs drehen sich um Situationen, die mir im Alltag begegnen und mit denen sich jeder identifizieren kann“, erklärt der Teenager. So schreibt und singt Lena beispielsweise über Dankbarkeit, helfende Hände im Umfeld, Aufwachsen oder darüber, sich nicht zu verstellen und authentisch zu bleiben. Beyoncé bewundert sie dafür, dass sie sich ihre Authentizität erhalten hat. „Wenn ich einmal als Solistin erfolgreich sein will, muss ich noch an dem Wechsel zwischen Kopf-, Brust- und Bauchstimme arbeiten und dem Schließen der Stimmlippen“, analysiert Lena, die einen Englisch- und Erdkundeleistungskurs besucht.

Neben dem Druck von Visitenkarten und weiteren Auftritten steht noch ein nächster großer Schritt an: „Wir nehmen meinen Song in einem Studio auf“, berichtet Lena stolz. Von ihren Eltern – ihren größten Fans – hat sie außerdem einen Laptop mit Mikrofon, Musikprogramm und Soundkarte geschenkt bekommen.

Plan B? „Jetzt noch nicht“

„Die Songs werde ich dann im Internet teilen und vielleicht noch mehr Menschen begeistern“, gibt sich die Schülerin bescheiden. Auf ihrem Instagramaccount „lenaavikaa“ schreiben ihre Follower schon heute von „heftigem Talent“, „großartiger Stimme“ und wünschen sich: „Ich hoffe, es wird mal was richtig Großes aus dir“.

„Vielleicht ist das große Musikbusiness auch gar nicht das Richtige für sie, das wäre aber dann auch eine wichtige Erkenntnis“, sagt Löhe zuversichtlich. „Wenn es klappt, dann ist es auf jeden Fall etwas für mich“, ist sich Lena jedenfalls schon sicher. Einen Plan B, falls es mit der Sängerkarriere nicht klappt? „Brauch ich jetzt noch nicht“, sagt Lena. Wo sie in fünf Jahren steht, weiß die Gymnasiastin nicht. Nur eins ist sicher: Singen wird sie weiterhin.

Infobox

  • Das NRW-Zentrum für Talentförderung mit Sitz in Gelsenkirchen wurde 2015 vom nordrheinwestfälischen Wissenschaftsministerium gemeinsam mit der Westfälischen Hochschule gegründet.
  • Inzwischen hat das Programm 17 Partnerhochschulen. Talentscouts begleiten junge Menschen an über 370 Berufskollegs, Gesamtschulen und Gymnasien bei ihrem Übergang in ein Studium oder eine Berufsausbildung.
  • Bei der Identifizierungvon Talenten wird die erbrachte Leistung im Lebenskontext der Schülerinnern und Schüler beurteilt. Die Scouts machen ihnen Mut, zeigen Wege auf, helfen beim Netzwerken und eröffnen Zugänge zu Förderinstrumenten des Bildungssystems. Sie verstehen sich auch als Brückenbauer zu Hochschulen und Kooperationsbetrieben.
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