European Solar Challenge 2016
Tagebucheinträge
Donnerstag, 6 Uhr morgens – der erste Wecker klingelt im „Bochumer Camp“. In den letzten zwei Tagen ist die Zeltstadt an der ehemaligen Formel1-Rennstrecke Circuit Zolder stetig gewachsen – immerhin sind diesmal drei Teams aus Bochum nach Belgien gereist, die neben dem thyssenkrupp SunRiser auch seinen Vorgänger, den PowerCore SunCruiser, und den allzeit bereiten SolarWorld GT ins Rennen gegen den Tesla schicken wollen.
Am heutigen frühen Morgen geht es aber erstmal nur um die technische Abnahme, das Scrutineering, das durch Routine-Checks von den Fachteams Mechanik, Elektrik und Motor sorgfältig vorbereitet wird. Da auch ein Bremstest ansteht, wird der SunRiser noch eine halbe Stunde geladen. Währenddessen sorgt das Support-Team mit einem leckeren Frühstück dafür, dass auch der letzte Morgenmuffel bald aus seinem Zelt lugt. Kurze Zeit später ist an Weiterschlafen sowieso nicht mehr zu denken, denn die Strecke hat geöffnet und dutzende Motorräder drehen nun ihre Runden – was für ein Lärm! Für die einen Musik in ihren Ohren, für die anderen bloß Krach erschwert das Renntraining jedenfalls die Kommunikation während der Checks durch die ESC-Volunteers, vertreibt den Wartenden dafür gut die Zeit.
Neugierig beäugen die Deutschen die Fahrzeuge der zwei türkischen Teams, der „Twente“-Holländer, der Engländer aus Cambridge und von Punch Powertrain aus Belgien, die zur selben Zeit auf Herz und Nieren überprüft werden. Immer wieder erstaunlich, wie die Fahrer dieser Challenger-Gefährte ihren Platz einnehmen – zweimal falten, dann in der Mitte knicken, Vierteldrehung… Schwups! Ist ein ganzer Mensch unter dem großen Solarpanel verschwunden und nur der Kopf schaut heraus. Gekonnt!
Zwischendurch schaut WSC-Promi Chris Selwood vorbei, der extra aus Australien angereist ist, um die europäischen Teams anzufeuern. Er ist DIE treibende Kraft hinter der regelmäßig stattfindenden Weltmeisterschaft in Australien und begeistert, dass seine Ideen auch auf anderen Kontinenten fruchten.
Das Scrutineering verläuft für die deutschen Mannschaften derweil sehr erfolgreich, am Ende bekommt jeder Sonnenwagen seine Startnummer und den offiziellen ESC-Sticker aufgeklebt.
Den Tag lassen alle Teilnehmer gemeinsam bei einem Welcome Barbecue ausklingen. Ismael Ben-Al-Lal, Projektmanager beim Hauptsponsor des Events iLumen, schaut zufrieden in die Runde und bemerkt stolz: „Bei so vielen teilnehmenden Teams fühlt es sich fast die die WSC an.“
Na, dann arbeiten wir die nächsten Tage mal daran, dass es auch genauso spannend wird!
Auch heute geht es früh raus, die Sonne lacht und das Team freut sich auf einen spannenden Tag: Die K.O. Schikane steht nämlich an. Noch schnell ein Käffchen am Camp, bevor es in die Boxengasse geht, wo jedes SolarCar-Team einen eigenen Stellplatz zugewiesen bekommt. Neben Solarautos aller Formen und Größen entdeckt man auch andere Elektrovehikel wie das Pedelec, ein Lastenfahrrad mit zwei Sitzen, und den Elektrobuggy.
Ab 10 Uhr ist die K.O. Schikane in Form einer scharfen S-Kurve freigegeben. Die Teams dürfen die gesamte Strecke nun drei Mal abfahren. Die schnellsten 8 werden in Paare aufgeteilt und müssen noch einmal alles geben in der Schikane. In unter 30 Sekunden wetzen die Sonnenwagen die 250 Meter entlang, bejubelt von einer begeisterten Menge auf der Tribüne. Nun sind noch vier Teams übrig, unter anderem der SolarWorld GT, dem zeitlich bisher keiner das Wasser reichen konnte. Auch im Schikanen-Finale kann er sich mit 24,5 Sekunden gegen die türkischen Teams und die italienische Mannschaft durchsetzen und ist somit Gewinner dieser Disziplin.
Als nächstes hat jeder der 12 Teilnehmer eine Präsentation vorbereitet, in dem eine Innovation des antretenden Sonnenwagens vorgestellt wird. Die Bandbreite an Themen erstreckt sich von Interieur-Designs über Batterieüberwachungssystemen zu ökologischeren Laminiermethoden, die Jury freut sich also über ein abwechslungsreiches Programm. Die Präsentation des SunRiser-Teams über dessen Innenraum bringt schließlich den 3. Platz ein.
Währenddessen wetzen ein Dutzend Tesla Roadster über die Rennstrecke, was deutlich entspannter ist für die Ohren. Auch hinter der Boxengasse herrscht eifriges Treiben, vor allem am Segway-Parcours.
Gegen Abend nach dem Fahrer-Briefing darf die Strecke noch einmal zum Testfahren genutzt werden. Das Fahren bei Dunkelheit ist trotz gut ausgeleuchteter Fahrbahn nicht jedermanns Sache, weshalb im Vorfeld eine genaue Reihenfolge an SolarCar-Fahrern für das morgige 24h-Rennen festgelegt wird. Küchenchef Christian Neumayer sorgt mit seiner Crew dafür, dass das Rennteam mit „Essen-auf-Rädern“ direkt in der Boxengasse versorgt wird, während alle anderen noch im Camp zusammensitzen.
So geht der zweite Tag in freudiger Erwartung des nächsten zu Ende – die Teams sind alle heiß darauf, sich miteinander und mit dem Tesla Model S zu messen.
Der große Tag ist endlich da, heute soll das 24h-Rennen beginnen. Damit die Mannschaften dafür fit sind, gibt es das Frühstück etwas später und auch der restliche Vormittag verläuft entspannt.
Kurz vor dem Start steigt die Spannung aber doch merklich an. Die Fahrzeuge stehen aufgereiht am rechten Fahrbahnrand, die Fahrer gegenüber – nach typischer Le-Mans-Art dürfen sie erst ihre SolarCars besteigen, wenn das Startsignal gegeben wird.
Und endlich – die grüne Flagge wird geschwenkt, die Fahrer stürmen los, angefeuert von ihren Teams auf der Tribüne und entlang des Startbereichs. Der thyssenkrupp SunRiser, der bei der Auslosung nicht gerade die Poleposition erwischt hatte (Start von Platz 12), schiebt sich als Erster aus der Reihe und auch die anderen Bochumer SolarCars folgen zügig.
Besonders gespannt ist man natürlich auf die schnellsten Runden der Fahrzeuge, die extra Punkte bringen können. Die Racecomission protokolliert diese Werte und stellt sie auf einer allgemein zugänglichen Internetplattform zur Verfügung, auf der sich daneben das Rennen dank GPS-Trackern in den Solarcars in Echtzeit verfolgen lässt.
Der SunRiser legt mit 3:03 Minuten die beste Zeit hin, büßt das aber in der nächsten Runde direkt mit einem platten Reifen und muss abgeschleppt werden. Trotz dieser Verzögerung kann er sich schnell wieder auf Überholjagd begeben und auf den 3. Platz vorkämpfen. Angeführt wird das Feld vom PowerCore SunCruiser, der sich während der nächsten Stunden auch nicht einholen lässt. Der SolarWorld GT soll dauerhaft mit 2 Personen fahren und hält dort seine Stellung im Mittelfeld.
Leider kann sich das neuste SolarCar-Team in den ersten Stunden nicht wirklich entspannen, denn der silberne Flitzer macht Ärger: Nach dem geplatzten Reifen macht das Kombi-Instrument schlapp, sodass die Fahrer die Geschwindigkeit nach Gefühl wählen müssen. Das Strategie-Team hat unterdessen Schwierigkeiten mit der Telemetrie-Software, die für die Überwachung der Batterie benötigt wird. Es ist wie verhext und die Köpfe der Studierenden rauchen, um die Probleme schnellmöglich in den Griff zu bekommen. Vor allem ihr Improvisationstalent ist hier gefordert, denn im Rennmodus ist keine Zeit für aufwendige Reparaturen. So wird kurzerhand ein kompletter System-Reset durchgeführt, der das Kombi-Instrument zumindest zeitweise wieder funktionstüchtig macht.
Ab 21 Uhr legen die meisten Teams eine Ladepause ein und auch die Teammitglieder können ein wenig verschnaufen. Manche hauen sich direkt in der Box auf’s Ohr, andere haben sich in Schichten aufgeteilt und kehren zum Schlafen ins Camp zurück, wo das Küchenteam schon mit leckeren selbstgemachten Burger und Joghurt-Nachtisch auf sie wartet.
Um 00:30 kehren viele SolarCars wieder auf die Strecke zurück, so auch die Bochumer Teams. Nachtfahrten bei sternklarem Himmel sind für die SolarCar-Fahrer etwas ganz Besonderes, sind die Teams bei Testfahrten doch nur tagsüber unterwegs. Die Müdigkeit holt sie dennoch schnell ein, weshalb sie sich in Abständen von 2 Stunden abwechseln.
Es ist ruhig geworden an der Rennstrecke. Morgen früh geht es sicher nervenaufreibend weiter…
Der letzte Tag bricht an und während die Sonne langsam über der Rennstrecke aufgeht, sind einige Fahrzeuge noch einmal zum Laden in die Boxen gefahren. Unser SunRiser ist um 7 Uhr früh wieder zurück auf der Rennstrecke und begibt sich damit auf die letzte Etappe. Es bleiben noch 6 Stunden Fahrzeit und die Hoffnung keine weiteren technischen Probleme beheben zu müssen. Die Teammitglieder lassen sich den wenigen Schlaf und die viele Aufregung nicht anmerken und arbeiten konzentriert weiter.
Dann ist es endlich soweit und der Countdown läuft. Nur noch 10 Minuten und das 24h-Rennen ist vorbei. Und dann doch noch zwei Hiobsbotschaften auf einmal: Kurz vor Schluss muss der PowerCore SunCruiser wegen einer fast komplett entladenen Batterie zurück in die Box, während der SolarWorld GT wegen defekter Lenkung sogar via Rescue Car von der Strecke abtransportiert werden muss. Nur wenige Minuten bleiben dem GT-Team, um diese wieder zu fixen, sodass er doch noch eine letzte Runde vor Ablauf der Zeit drehen und seinen Rang halten kann. Für den SunCruiser ist das Rennen leider vorzeitig beendet, doch erreichte er mit 258 gefahrenen Runden die höchste Anzahl unter den Bochumer Teams. Der thyssenkrupp SunRiser beendet das Rennen mit 243 gefahrenen Runden, 10 mehr als der GT. Nach dem Rennen kann dieser seine besondere Stärke demonstrieren: Er wird kurzerhand zum Abschleppwagen umfunktioniert, damit auch der blaue „Sunny“ noch an der Parade über die Rennstrecke teilnehmen kann. So drehen die drei Hochschul-SolarCars noch eine gemeinsame Runde, begleitet von den beiden SolarBuggys und dem Cargo Pedelec – für alle ein besonders stolzer Augenblick, diese große Fahrzeugflotte über die Rennstrecke fahren zu sehen.
Nun beginnt das große Zittern und das Warten auf das endgültige Ergebnis bei der Siegerehrung. Denn gewinnen wird nicht das Team mit den meisten Runden, sondern das Team, welches in allen vier Disziplinen (K.O. Schikane, Präsentation, schnellste Runde und gefahrene Strecke) die meisten Punkte sammeln konnte. Noch müssen sich aber alle gedulden bis alle Punkte, Runden und Penalties ausgezählt sind.
Die Teams überbrücken die Zeit bis zur Siegerehrung bei bester Feierlaune und großer Erleichterung. Dann ist es endlich soweit und die offizielle Zeremonie beginnt. Das Team Cambria aus Kolumbien erhält völlig verdient einen Ehrenpreis für ihren Teamspirit. Innerhalb von 90 Tagen hatten die Studenten aus Südamerika ihr SolarCar gebaut, um ihren Traum von der Teilnahme an der Europameisterschaft wahr zu machen, doch leider waren die technischen Probleme am Ende zu groß und sie konnten nur außerhalb der Wertung für ein paar Runden auf die Rennstrecke. Entsprechend gerührt nimmt Teamleiter Cesar den Pokal entgegen und bedankt sich bei allen Teams, die mit Rat und Tat zur Seite gestanden hatten.
Nun wird es auch für alle anderen endlich ernst: Der dritte Platz geht an das Team ….. thyssenkrupp SunRiser aus Bochum! Jetzt fällt alle Anspannung endgültig ab und das gesamte Team darf aufs Treppchen, um den Pokal entgegen zu nehmen. Platz 1 und 2 gehen an das holländische Team Twente mit ihrem Fahrzeug „Red One“ und an die Belgier Punch Powertrain.
Anschließend feiern alle Teams gemeinsam ein rauschendes Fest und stoßen auf das weltweit erste 24h-Rennen für SolarCars an.
Wie bei jedem SolarCar Event war auch diese ESC 2016 geprägt von Hilfsbereitschaft, Respekt und einer gemeinsame Idee. Danke an alle Teams für diese schöne Zeit!
Ein besonderer Dank geht an die Organisatoren und die Volunteers, die dieses bislang einmalige Event bestens vorbereitet und umgesetzt haben.