Hochschulmathematik zum Greifen nah

15.04.2025

Forschungsprojekt MathBRIKS visualisiert Stein für Stein Lerninhalte.

„Zu abstrakt. Zu kompliziert. Nicht greifbar. So empfinden manche Studierenden die Hochschulmathematik“, sagt Prof. Dr. Christian Scheffer. Er ist Professor für Mathematik und Informatik im Anwendungsfeld Industrie 4.0 und hält die Vorlesungen Mathematik I und II für Informatiker*innen an der Hochschule Bochum. „Doch was wäre, wenn wir abstrakte Hochschulmathematik greifbarer machen könnten?“ Genau mit dieser Frage beschäftigt sich der Wissenschaftler in dem vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Projekt MathBRIKS.

Sie forschen mit MathBRIKS an einem kreativen Ansatz rund um die Lehre und das Lernen von Hochschulmathematik. Welche Motivation steckt hinter dem Projekt? 

Prof. Dr. Christian Scheffer: Ich höre von Studierenden über die Hochschulmathematik häufiger Sätze wie: ‚So viele Buchstaben? Da sind ja fast keine Zahlen mehr.‘ Und: ‚Wie soll man sich sowas Abgefahrenes merken, geschweige denn vorstellen können?‘ Aktuelle Studien besagen, dass Matheveranstaltungen zu den studienkritischsten Fächern überhaupt gehören. Unsere Motivation im Forschungsprojekt ist es, den Studierenden zu vermitteln, dass die Hochschulmathematik kreativ, interessant, zu meistern und bedeutsam für den Berufsalltag von angehenden Informatiker*innen ist. Ich gebe aber auch zu, dass meine Motivation auch ein bisschen intrinsisch ist, weil es mir einfach Spaß macht, innovative Lehr- und Lernmethoden zu entwickeln. Es geht am Ende weniger darum Rechnen zu können, vielmehr ist das abstrakte Denkvermögen aus der Mathematik von Bedeutung. Techniken der Datenanalyse, Verschlüsselungsmethoden oder auch Simulationen mit denen sich Informatiker*innen beschäftigen, basieren allesamt auf der Mathematik. Mathe ist für Informatiker*innen wie ein großer Werkzeugkasten der hilft, spannende Fragestellungen zu lösen. Nur ein Beispiel aus dem Berufsalltag: Möchte ein*e Informatiker*in den Nachweis erbringen, dass ein Programm korrekt funktioniert, es also genau das macht, was gewünscht ist, besteht eine Möglichkeit der Programmverifikation darin, die Korrektheit mittels eines mathematischen Beweises aufzuzeigen. Das findet zum Beispiel in der Flugzeugbranche Anwendung, um die in Bordsystemen eingesetzte Software zu überprüfen. Die Hochschulmathematik ist also durchaus praxisrelevant.

Hochschulmathematik greifbarer gestalten: Wie könnte das funktionieren?

Prof. Dr. Christian Scheffer: In meinen Fachvorträgen werfe ich häufig Bilder an die Wand, anstatt Matheformeln. Diese Idee denken wir im Forschungsprojekt weiter. Anstelle von nur Bildern möchten wir den Studierenden etwas geben, das sie auch anfassen können. Unser Ansatz ist, dass Studierende Hochschulmathematik mit ihren eigenen Händen nachbauen können. MathBRIKS ist ein verspieltes Projekt, in dem wir Matheinhalte - zum Beispiel Formeln - mit Klemmbausteinen visualisieren. So könnten wir Mathematik einprägsamer und intuitiv verständlicher lehren. Wir können die mathematische Sprache nicht ersetzen, aber vielleicht mathematische Intuition durch Haptik steigern. Erste Prototypen für mathematische Formeln haben wir bereits entwickelt.

Wie entsteht solch ein Prototyp? 

Prof. Dr. Christian Scheffer: Die Schwierigkeit ist, dass wir eine hohe Eindeutigkeit erzeugen müssen. In einem ersten Schritt sammeln wir, welche elementaren Begriffe wir aus der Hochschulmathematik häufig benutzen und überlegen uns, wie wir diese symbolisieren können. Zum Beispiel benötigen wir ein Symbol für eine mathematische Menge und ein zweites für eine mathematische Abbildung. Hierzu führen wir Formen und Farben ein, die eindeutig zugeordnet werden können. Einer mathematischen Menge ordnen wir beispielsweise eine rechteckige Form und die Farbe Weiß zu. In einem zweiten Schritt schauen wir, zu welchem Symbol welcher Klemmbaustein passt. Wir übersetzen also unsere Symbole in Klemmbausteine. Auf das Beispiel bezogen suchen wir einen weißen Baustein mit rechteckiger Form. Dieser Baustein steht dann fortan immer für eine mathematische Menge. Eine mathematische Formel setzt sich dann aus mehreren solcher Symbole, also Klemmbausteine zusammen. Finden wir keinen passenden Klemmbaustein, führen wir selbst neue Formen ein und fertigen exotische Baukörper mit Hilfe von 3D-Drucktechnologien an. Steht die Formel bauen wir das Klemmbaustein-Modell mit einer Software am Computer nach. Die Software erstellt dann eine Bauanleitung zum Ausdrucken.

Und diese Bauanleitung für eine mathematische Formel händigen Sie dann in Ihrer Lehre den Studierenden aus?

Prof. Dr. Christian Scheffer: So ist der Plan. Zusätzlich bekommen die Studierenden ein Set passender Klemmbausteine. Die Studierenden sollen dann die mathematische Formel nachbauen und sie dabei Stein für Stein verinnerlichen. Was wir den Studierenden anbieten ist quasi die haptisch bildliche Begleitung zum Matheinhalt. Denn es ist nachgewiesen, dass Menschen besser mit Wörtern und Bildern im Einklang lernen, die Idee hinter MathBRIKS ist also ein multimediales Lernen der Hochschulmathematik. 

Einen ersten Prototyp einer Baukonstruktion haben Sie bereits in einer Vorlesung eingesetzt: Mit welchem Ergebnis?

Prof. Dr. Christian Scheffer: Wir haben den Prototyp bei einer Gruppe von Studierenden getestet und begleitend einen Fragebogen zur Evaluation entworfen. Die Rückmeldungen zeigen uns zum einen sehr gut, wo wir noch zu kleinschrittig sind und wo sich Symbole noch zu stark ähneln. Daraus leiten wir weitere Modifizierungen ab. Zum anderen zeigen die ersten Testauswertungen aber auch, dass die Studierenden Spaß an der Lehrmethode haben. Die Studierenden sehen die vermeidlich trockene Mathematik auf einmal mit anderen Augen. Hochschulmathematik wird für sie abwechslungsreicher und ersten vorsichtigen Auswertungen zu urteilen, hat die Lehrmethode auch einen positiven Einfluss auf das Lernverständnis der Studierenden. Im Projekt MathBRIKS wollen wir weitere solcher Baukonstruktionen für die Hochschullehre entwickeln und das Lernen zu einer positiven Erfahrung machen.


Das Interview führte Daniela Schaefer, Online-Redakteurin.