Symposium „smart:sustainable“
Wie sind Digitalisierung und Nachhaltigkeit zu vereinen?
[Von Alexa Kuszlik und Nora Schelte]
Die Begriffe Digitalisierung und Nachhaltigkeit sind in aller Munde, doch schließen sie sich nicht eigentlich aus? Um die Digitalisierung voranzutreiben, steigt häufig der Ressourcenverbrauch und der Energiebedarf, was mit Nachhaltigkeit schwer zu vereinen ist. Um diesem Problem auf den Grund zu gehen und Risiken, sowie Chancen dieser Themen zu beleuchten, veranstaltete die Hochschule am Donnerstag, den 27. Juni 2019, im Zentrum für IT Sicherheit ein Symposium mit Experten und Hochschulangehörigen.
„Wir möchten die Studierenden für das Thema sensibilisieren, die Vernetzung mit Experten begünstigen und einen Austausch initialisieren“, sagte Professor Semih Severengiz. Auch die Hochschule Bochum soll bezüglich der Themen Digitalisierung und Nachhaltigkeit sichtbar gemacht werden, so der 38-Jährige Professor des Fachbereichs Elektrotechnik und Informatik weiter. Mit sieben Studierenden des Studiengangs „Nachhaltige Entwicklung“ hatte Professor Severengiz das Symposium in nur zwei Monaten Vorbereitungszeit organisiert.
Um 12 Uhr begrüßten Professorin Eva Waller und Professor Semih Severengiz die etwa 60 Gäste des Symposiums im Zentrum für IT Sicherheit. Der eingerichtete Studiengang „Nachhaltige Entwicklung“ sei nur eine Stufe des 6-Stufen-Planes zur Nachhaltigkeit der Hochschule Bochum. Das Zertifikat „Ökoprofit“, sowie die Investitionen in die Infrastruktur der Hochschule seien weitere Stufen, zählte Professorin Eva Waller auf. „Ein Resultat dieser Investitionen ist das weitestgehend stabile WLAN-Netz“, so Waller, was die Hochschulangehörigen mit Beifall quittierten. „Sie erleben aktiv einen Wandel mit: Viele kleine Schritte, die irgendwann eine große Summe ergeben.“
Professor Andreas Knie vom Wissenschaftszentrum für Sozialforschung in Berlin (WZB) beleuchtete das Thema Mobilität im Bereich Digitalisierung und Nachhaltigkeit. Er lieferte mehrere Beispiele für den Planungswahnsinn deutscher Behörden: „Ende des Jahres wird in Berlin der Bau von dreieinhalb Autobahnkilometern die Kosten von fast einer Milliarde Euro erreicht haben.“ Das Thema Mobilität sei in Deutschland bereits frühzeitig gefördert worden: „Die Nazis bauten 3.200 Autobahnkilometer, obwohl die Deutschen damals kaum Autos besaßen.“ Ab 1941 habe man deshalb auch mit dem Fahrrad die Autobahnen nutzen dürfen, erzählte der Professor des WZBs den interessierten Zuhörern.
Später sei in Deutschland das Auto für jedermann gefördert worden. „Mittlerweile gibt es zu viele Autos, die dazu meist nur von einem Passagier genutzt werden.“ Das sei mit Nachhaltigkeit nicht zu vereinbaren. „Die CO2-Emissionen müssen dringend verringert werden, steigen aber derzeit im Bereich des Verkehrs.“ Die Einrichtung von Alternativen wie Fahrradstraßen sei aber schwierig: „Solchen Anträgen wird seitens der Behörden nur stattgegeben, wenn bereits zum Zeitpunkt des Antrags sehr viele Fahrräder besagte Straße nutzen.“ Das Argument, dass die vermehrte Fahrradnutzung durch die neue Fahrradstraße erst erreicht werden solle, zähle seiner Erfahrung nach nicht. „In den Behörden ist ein Wandel schlichtweg nicht vorgesehen.“ Auch die Mobilität in der Zukunft sprach Knie an: „Private Flug-Autos wird es vermutlich nicht geben, da der Luftraum nun mal begrenzt ist.“ Chancen sehe er woanders: „Autonomes Fahren ist die Zukunft.“ Auch der Ausbau des ÖPNV und digitale Geschäftsmodelle zum Carsharing seien Lösungsansätze. Bisher täten sich die deutschen Automobilhersteller schwer, beispielsweise das Thema „autonomes Fahren“ zu begreifen. Im Bereich Mobilität müsse sich in Deutschland noch eine Menge tun, um für die Zukunft gewappnet zu sein. „Der Wandel kommt nicht von alleine“, so Knie abschließend.
Auch Jan Maciejanski sieht „Mobility Sharing“ als Lösung für eine nachhaltigere Mobilität. Ein Sharing-Fahrzeug könne bis zu 15 Privatfahrzeuge ersetzen und somit CO2-Emissionen reduzieren. Maciejanski stellte die Mobility Sharing Platform des Unternehmens Hub2Go vor: eine zentrale Sharing-App für Autos, Roller, Microscooter und Fahrräder. „Wir planen derzeit eine Verknüpfung der App mit Angeboten des ÖPNV“, sagte Maciejanski. So soll ein attraktives Mobilitätsangebot abseits vom Privat-Pkw geschaffen werden.
Nora Schelte, Studentin an der Hochschule Bochum, stellte in ihrem Vortrag einen Ansatz zur wissenschaftlichen Bewertung der Umweltwirkung dieser neuen digitalen Mobilitätsdienstleistungen vor. Im vorgestellten Ansatz wurden drei Szenarien entwickelt, wie sich der Verkehr in Bochum durch die Einführung eines e-Scooter Sharing-Dienstes verändern könnte. Die Untersuchung zeigt, dass digitale Lösungen Potenzial haben, die Umweltwirkung des Verkehrs zu reduzieren. Es ist aber wichtig, welche Verkehrsmittel durch die neuen Angebote ersetzt werden.
Dr. Pia Gausemeier ermöglichte den Teilnehmern des Symposiums detaillierte Einblicke zum Thema Digitalisierung in der Produktion der Firma Miele. „Es gibt keine Produktionstechnologie ohne Informationstechnologie mehr, fällt die IT aus, fällt die Produktion aus“, sagte die Leiterin der Produktions- und Informationstechnologie des Miele Standorts Bielefeld. Daten seien das Öl der Industrie 4.0. „Nur reicht das bloße Vorhandensein der Daten nicht aus.“ Diese müssten analysiert und automatisierte Produktionsverfahren immer wieder angepasst werden, beispielsweise wenn es in der Fertigungshalle kühler oder wärmer werden würde.
Grenzen der Implementierung neuer Fertigungstechnologien sei beispielsweise die technische Machbarkeit: „Es wird in den nächsten Jahren noch nicht möglich sein, hohe Stückzahlen via 3D-Drucker zu produzieren“, sagte Gausemaier. Außerdem müsse immer die Wirtschaftlichkeit geprüft werden: „Neue Verfahren müssen günstiger als die zuvor genutzte Technologie sein, damit wir wettbewerbsfähig bleiben.“ Unter diesen Gesichtspunkten würden neue Technologien bei Miele bereits heute genutzt. „Wir fertigen Einschraubhilfen für Klarspülerdeckel im 3D-Drucker.“ Die Einschraubhilfen würden nun mit hohen finanziellen Einsparungen in einem anstatt in sieben Produktionsschritten gefertigt: „Die Produktion einer Einschraubhilfe kostete früher 300 Euro, aus dem 3D-Drucker hingegen nur noch etwa sechs Euro.“ In Zukunft möchte Miele ihren Kunden Ersatzteile liefern, indem sie dem Techniker eine SDL-Datei für den 3D-Drucker senden. „Heute ist das aber wirtschaftlich noch nicht realisierbar“, so die Ingenieurin.
Einen Einblick in ihre Forschung zur Kreislaufwirtschaft und Digitalisierung gab Jana Nicolas vom Wuppertal-Institut. Die Einführung der Kreislaufwirtschaft, also die Rückführung von Abfällen in Produktionsprozesse, ist vor allem ein Informationsproblem. Die Digitalisierung könnte deshalb die Möglichkeit bieten, Stoffflüsse und Informationsflüsse stärker zu koordinieren und die Kreislaufwirtschaft zu vereinfachen. Nicolas macht allerdings ebenfalls deutlich, dass Rebound-Effekte durch den Einsatz von zusätzlichen Informations- und Kommunikationstechnologien zu vermeiden sind.
Eike Pachernegg, Student der Hochschule Bochum, stellte in seinem Vortrag digitale Lösungen für das Stromnetz vor. Im Rahmen der Energiewende wird es immer wichtiger, das schwankende Angebot der erneuerbaren Energien und die Stromnachfrage zu koordinieren. Eine Lösung ist das sogenannte Demand Side Management. Der Student nannte als Beispiel die Möglichkeit, die Waschmaschine mittags laufen zu lassen, wenn das Angebot an Solarstrom groß ist. Auf der Nachfrageseite sind Smart Meter (intelligente Stromzähler) nötig, die aber in Deutschland, aufgrund der Gesetzeslage bisher nicht eingesetzt werden. Die Kombination von Smart Meter und intelligenten Netzen zum Demand Side Management bietet das Potenzial, die CO2-Emissionen des Energiesektors um ca. 20 % zu reduzieren.
Einen kritischen Blickwinkel brachte zuletzt Verena van Zyl-Bulitta vom IASS Potsdam ein. Sie stellte das Projekt „Digitale Daten als Gegenstand eines transdisziplinären Prozesses“ (DiDat) vor, das sich mit der Herausforderung beschäftigt, die unbeabsichtigten Nebenwirkungen (die sogenannten „Unseens") der digitalen Transformation zu identifizieren. Ziel des Projekts ist es, Strategien zu entwickeln, die einen angemessenen Umgang mit diesen unerwünschten Effekten ermöglichen. Van Zyl-Bulitta empfiehlt die Förderung von Selbsterklärungen und Vorschriften für die Nutzung von digitalen Daten und die Diskussion von ethischen Grundsätzen im Umgang mit Daten.
Dieser kritische Blick auf die Digitalisierung kam auch in der anschließenden Podiumsdiskussion auf. Die Teilnehmer des Symposiums erhielten hier die Möglichkeit, ihre Fragen an die Referenten zu richten. So wurde die globale Perspektive eröffnet mit der Frage, ob nur die Industrienationen von der Digitalisierung profitieren oder ob es auch effektive und günstige Lösungen in den Ländern des globalen Südens geben wird. Besonders interessiert waren die Zuhörer auch an den Vorstellungen von Andreas Knie zur Zukunft der Mobilität und an einer Einschätzung zur Realisierbarkeit von Flugtaxis.
Im World-Cafe, dem letzten Tagesordnungspunkt des Symposiums, konnten die Teilnehmer das präsentierte strategische Wissen aus den Vorträgen noch einmal in Gruppenarbeiten an konkreten Beispielen festmachen und einen Bezug zur aktuellen und zukünftigen Praxis herstellen. Die Erarbeitung von Chancen und Risiken im Kontext der Nachhaltigkeit verschärfte dieses differenzierte Bild. Konsens war, dass die Digitalisierung Chancen für eine nachhaltige Zukunft bietet, es aber auf die richtige Umsetzung ankommt: Regulierungen seien nötig, damit die Digitalisierung im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung genutzt werden kann und Risiken begrenzt werden.
Ankündigungs-Webseite des Symposiums