Von Rüdiger Kurtz
Was haben Kindergeburtstage und internationale Klimapolitik gemeinsam? Mehr, als man auf den ersten Blick vermuten würde. Wer jemals selbst einen Kindergeburtstag ausgerichtet hat, weiß, dass es zu handfestem Streit kommen kann, sobald es um die Frage geht, wer welches Stück vom Kuchen bekommt. "Auch in der internationalen Klimapolitik werden Kuchenstücke zugeteilt, allerdings bestehen die nicht aus Teig und Sahne", erläutert Professorin Carla Johanna Vogt von der Hochschule Bochum, Leiterin des Forschungsprojekts Incentives, Fairness and Compliance in International Environmental Agreements (InFairCom), das seit März 2020 an der Hochschule Bochum läuft und vom Bundesministerium für Bildung und Forschung noch bis Ende 2021 gefördert wird.
"Tatsächlich sind die Kuchenstücke in der Klimapolitik weniger greifbarer, aber es gibt sie dennoch", so Vogt weiter. Um das besser verstehen zu können, holt die Ökonomin etwas weiter aus. Hauptgegenstand des Forschungsprojektes sind internationale Klimaschutzabkommen wie aktuell etwa das Pariser Abkommen von 2015 oder historisch das Kyoto-Protokoll von 1997. Im Kern geht es dabei immer um dieselbe zentrale Frage: Wie lässt sich die freiwillige Kooperation im Klimaschutz von zirka 200 souveränen Staaten erreichen? Denn Freiwilligkeit ist die einzige Möglichkeit, Klimaschutz zu erreichen – kein Staat kann einen anderen zwingen, seine Treibhausgas-Emissionen zu reduzieren. Damit aber Staaten bereit sind, muss es sich aus ihrer Sicht "lohnen", Klimaschutz zu betreiben.
Hierbei taucht nun genau das oben angedeutete Gerechtigkeitsproblem auf: Wenn alle oder hinreichend viele Staaten kooperieren, so lassen sich ökonomisch gesehen "Effizienz-, bzw. Wohlfahrtsgewinne" generieren. Diese stellen in der obigen Analogie die Torte dar. Und diese Torte gilt es nun zu verteilen. So weit, so scheinbar einfach. "Auf dem Kindergeburtstag wird man sich für die egalitäre Lösung entscheiden – und die wird vermutlich von allen Anwesenden akzeptiert werden", so Vogt. Was aber im Fall von 200 ganz unterschiedlichen Staaten, die sich massiv unterscheiden in den Folgen des Klimawandels – und die daher auch sehr unterschiedlich von Anstrengungen im Klimaschutz profitieren? Erschwerend kommt noch hinzu, dass sich auch die Kosten für die Vermeidung von Treibhausgasen von Land zu Land enorm unterscheiden können.
Genau für diesen Fall, den Expertinnen den Fall "heterogener Akteure" nennen, hat Vogt nun mit ihrem Mitarbeiter Dr. Marco Rogna eine Lösung entwickelt. "Wir haben ein Kuchenteilungsschema mathematisch abgeleitet, das berücksichtigt, dass sich die Akteure der Klimapolitik einerseits hinsichtlich ihrer Nutzen und Kosten, andererseits – und das macht das Problem besonders kompliziert – hinsichtlich ihrer Gerechtigkeitsvorstellungen unterscheiden". Das Schöne daran: Das Schema, das Rogna und Vogt gefunden und bewiesen haben, hat die ökonomisch äußerst wünschenswerte Eigenschaft, die Wohlfahrt der beteiligten Akteure zu maximieren. "Und aus diesem Grund ist es natürlich auch für alle akzeptabel und ein hervorragender Kandidat für die Lösung der Kooperationsproblematik in der internationalen Klimapolitik", so Vogt.
Tatsächlich konnten Rogna und Vogt im Rahmen von numerischen Koalitionsmodellen zeigen, dass sich mit Hilfe ihres Teilungsschemas international große Koalitionen unter Beteiligung der wichtigsten Emittenten (USA, China, Russland, die EU und weitere) stabilisieren lassen. "Wir erzielen Kooperationsraten von bis zu 75% der beteiligten Akteure – das ist schon ein kleiner Durchbruch in der Koalitionsforschung", freut sich die Ökonomin, die seit 2009 an der HS Bochum Volkswirtschaftslehre lehrt. Mehr noch: Die entstehenden Koalitionen erreichen tatsächlich signifikante Emissionsreduktionen und damit einhergehend hohe Wohlfahrtsgewinne. Auch das ist ein neues Ergebnis in der internationalen Literatur, die bisher vom "Barrett-Paradoxon" geplagt wurde. Benannt ist dieses Paradox nach dem US-amerikanischen Umweltökonomen Scott Barrett, der in den 90er Jahren bereits herausfand, dass große Koalitionen nur dann zu erwarten seien, wenn sie sich am wenigsten lohnen. Aus diesem Paradox haben die beiden Bochumer Wissenschaftler*innen nun einen Ausweg gefunden.
Ihre Ergebnisse haben Rogna und Vogt in einem aktuellen Diskussionspapier veröffentlicht, das beim renommierten Essener Rheinisch Westfälischen Institut für Wirtschaftsforschung (RWI) erschienen ist:
Die Arbeit wird in Kürze bei einer renommierten internationalen Fachzeitschrift zur Veröffentlichung eingereicht.