Von Rüdiger Kurtz
Der UN-Generalsekretär machte bei der Eröffnung der 24. UN-Klimakonferenz in Bochum einen besorgten Eindruck. "Wir müssen weltweit die CO2 -Emissionen senken, um bis 2100 den Temperaturanstieg auf weniger als 2°C zu reduzieren", so Philipp Thießen: "Wenn uns dies nicht gelingt, werden Wetterextreme und ein deutlicher Anstieg des Meeresspiegels nur zwei von zahlreichen zu erwartenden Folgen sein, die insbesondere für viele Entwicklungsländer verheerende Folgen hätten."
Zugegeben, der richtige UN-Generalsekretär heißt António Guterres, UN-Klimakonferenzen finden in der Regel nicht im Ruhrgebiet statt und bei den anwesenden Delegierten handelte es sich um Studierende des Studiengangs "Nachhaltige Entwicklung" der Hochschule Bochum. Die Ausgangslage für ihr Planspiel ist allerdings real.
"Wir möchten unsere Studierenden für den Klimaschutz sensibilisieren. Dazu nutzen wir mit World Climate ein professionelles Simulationsmodell, mit dem auch die tatsächlichen UN-Klimadelegierten arbeiten, um Klimazusammenhänge verstehen und simulieren zu können", erläutert Wirtschaftsprofessor Marcus Schröter.
Damit der Rahmen stimmt, hat das Organisationsteam auch äußerlich für "realistische" Klimakonferenzbedingungen gesorgt. Die wichtigen Leute tragen Anzug und Krawatte, statt wie sonst im Seminarraum tagt man im Sitzungssaal des Präsidiums, die Vertreter der wohlhabenden Industrienationen diskutieren an reich gedeckten Tischen bei Kaffee, Kuchen und exotischen Früchten, während die Vertreter der Entwicklungsländer mit trockenen Reiswaffeln auf einer Decke hocken …
"Das ist natürlich etwas übertrieben", lacht Teilnehmerin Wiebke Mersmann: "Aber als Vertreterin eines Entwicklungslandes verstärkt es das Gefühl von Machtlosigkeit und sorgt dafür, dass man ungewollt ein wenig demütig auftritt."
Nach einer kurzen Einarbeitungszeit in die Klimathematik werden die ersten Verhandlungen aufgenommen. Wann wird wer den CO2-Ausstoß um wie viel Prozent pro Jahr reduzieren? Wie stark soll die Aufforstung gesteigert werden? Wie viel wird welche Industrienation in den gemeinsamen Klimafonds einzahlen? Die Studierenden gehen schnell in ihren Rollen auf. Die Diskussionen werden anfangs ruhig, später auch hitziger geführt. Die Industrienationen versuchen die Entwicklungsländer mit finanziellen Versprechungen zu beruhigen, aber deren Existenz ist real bedroht.
Nach der ersten Verhandlungsrunde werden die beschlossenen Werte in das Simulationsmodell eingespeist. Alle haben sich bemüht und sind der Meinung, dass sie an die Grenzen des Machbaren gegangen sind. Nun warten sie gespannt auf das Ergebnis. Als der UN-Generalsekretär die Zahlen präsentiert, verfliegt die positive Stimmung: 3,2°C – viel zu hoch! Die Vertreter der Industrienationen zucken mit den Schultern, über die Vertreter der Entwicklungsländer wird vom Organisationsteam eine blaue Decke ausgebreitet. Auf spontanes Lachen wegen der unerwarteten Aktion folgt betretenes Schweigen. Es wird schnell klar, dass die Decke sichtbares Zeichen drohender Überschwemmungskatastrophen ist.
Da die beschlossenen Maßnahmen noch nicht ausreichen, wird eine zweite Verhandlungsrunde angesetzt. Die Gespräche werden nun noch intensiver. Auf ein arrogant wirkendes Statement der Amerikaner folgen Buhrufe. "Es ist sehr schwer, Kompromisse zu finden", gesteht Student David Kilian: "Man müsste sich eigentlich in die Bedürfnisse der anderen Länder hineinversetzen, stellt aber doch immer den Wohlstand der eigenen Nation in den Mittelpunkt." So endet auch die zweite Verhandlungsrunde enttäuschend. Trotz zäher Verhandlungen und weiterer Zugeständnisse fast aller Länder, ergibt die Computersimulation am Ende einen Temperaturanstieg von 2,8°C.
"Der große Vorteil dieser Art von Unterricht ist, dass man emotional viel engagierter ist und somit auch sein eigenes Verhalten und die Möglichkeiten, die eigenen CO2-Emissionen zu reduzieren, stärker reflektiert", zieht nicht nur Studentin Nena Nitz am Ende der ungewöhnlichen Veranstaltung ein positives Fazit.