Von Rüdiger Kurtz
"Inklusion bedeutet, dass man im menschlichen Zusammenleben jedem Einzelnen die gleiche Teilhabe an der Gemeinschaft ermöglicht", erläuterte Organisator Professor Dieter Rüth zu Beginn des "4. Tags der Vielfalt" an der Hochschule Bochum noch einmal das zentrale Anliegen. Die UN-Behindertenrechtskonvention schreibt eine "inklusive Bildung" vor. Das Bildungssystem soll demnach nicht nur jedem gleichberechtigt zugänglich sein, sondern sieht auch den gemeinsamen Schulbesuch von behinderten und nicht behinderten Menschen als "Normalfall" vor.
Die Zielsetzung ist nach wie vor umstritten und geht einigen Kritikern zu weit. An der Hochschule Bochum wird über das Für und Wider der Inklusion nicht gestritten. "Die Inklusion ist für uns längst ein wesentliches Profilelement", so Hochschulpräsident Prof. Dr. Jürgen Bock in seiner Begrüßungsrede: "Wir sind eine Hochschule für alle und bekennen uns seit Jahren zu Gleichberechtigung, Toleranz und gegenseitiger Wertschätzung." Barrierefreiheit und Nachteilsausgleich für Studierende mit Behinderungen sind Stichworte, die sich auch im Leitbild der Hochschule Bochum wiederfinden.
Zum Tag der Vielfalt hatte man, wie bereits in den letzten Jahren, zahlreiche Institutionen und Organisationen eingeladen, die sich für Menschen mit Behinderung einsetzten oder im Bereich der Inklusion tätig sind. Gekommen waren unter anderem die Agentur Barrierefrei NRW, das Kompetenzzentrums Behinderung Studium Beruf NRW und die Kontakt- und Beratungsstelle für Gehörlose und Hörgeschädigte der Stadt Bochum. In der Magistrale der Hochschule waren bereits am frühen Morgen zahlreiche Stände aufgebaut worden. Studierende, Mitarbeiter, Dozenten und Gäste der Hochschule konnten sich den ganzen Tag über informieren und beraten lassen. Einige testeten gleich selber aus, was es bedeutet, mit verschiedenen körperlichen Einschränkungen den Alltag bewältigen zu müssen. Durch Spezialbrillen sowie das Anlegen von Gelenkmanschetten, zusätzlichen Gewichten und einer Halskrause konnte man am Stand der Unfallkasse NRW innerhalb weniger Sekunden virtuell um Jahre altern bzw. körperliche Handicaps simulieren.
Höhepunkt des Inklusionstages war die Podiumsdiskussion mit zahlreichen Vertreterinnen und Vertretern des Landtages. Unter der Leitung von Prof. Dr. Dieter Rüth wurde die Frage diskutiert: "NRW kann mehr – auch bei der Inklusion an der Hochschule?". Angela Freimuth, Vizepräsidentin des NRW Landtages, sah beim Thema Inklusion kaum Kontroversen zwischen den im Landtag vertretenen Parteien. Einig sei man sich zum Beispiel, dass der Lehrermangel an Schulen dringend behoben werden müsse. "Wir werden mehr Sonderpädagogen ausbilden, um die Inklusion an den Schulen gut zu bewerkstelligen", so die FDP-Politikerin.
Peter Preuß mochte da nur bedingt zustimmen. "Das Inklusionsstärkungsgesetzt ist eine Ansammlung unverbindlicher Erklärungen" kritisierte der sozialpolitische Sprecher der CDU-Landtagsfraktion NRW das Gesetz, das seit dem 1. Juli 2016 in Kraft ist. Eine größere Verbindlichkeit, z. B. auch hinsichtlich erforderlicher Baumaßnahmen im Zusammenhang mit der Inklusion sei dringend notwendig, so Preuß. Dietmar Bell, wissenschaftspolitischer Sprecher der SPD-Landtagsfraktion, fand viel Zustimmung als er eine Stärkung der Grundfinanzierung der Hochschulen anmahnte. "Nur so kann neben einer guten Lehre auch die Inklusion sinnvoll umgesetzt werden."
Als einzige Nicht-Politikerin saß Dr. Christiane Schindler mit auf dem Podium. Die Leiterin der Informations- und Beratungsstelle Studium und Behinderung des Deutschen Studentenwerks lenkte das Augenmerk darauf, dass im Zusammenhang mit dem Thema Inklusion häufig eher auf sichtbare Behinderungen wie etwa bei Rollstuhlfahrern oder Blinden Bezug genommen werden. "Dabei gibt es sehr viele Menschen an Hochschulen, deren Beeinträchtigung äußerlich unauffällig ist, zum Beispiel Studierende und Mitarbeiter mit psychischen oder chronischen Erkrankungen."
Gerade Menschen aus dieser Gruppe nähmen den ihnen zustehenden Nachteilsausgleich oft nicht in Anspruch. Die Gründe dafür seien vielfältig. "Neben mangelnder Kenntnis haben viele Betroffene auch Angst vor Stigmatisierung oder negativen Konsequenzen nach einem Outing", so Schindler.
Barrierefreiheit müsse in den Köpfen der Menschen anfangen. Mangelnde Aufmerksamkeit mache viele gute Ansätze zunichte. "In die Digitalisierung wird derzeit sehr viel Geld investiert", nannte Christiane Schindler ein Beispiel: "Interessante Lehrvideos helfen einem Gehörlosen aber nicht weiter, wenn keine Untertitel angeboten werden."
Am Ende der Veranstaltung bedankten sich alle Teilnehmer der Diskussionsrunde bei dem äußerst engagierten Team der Inklusionspartner um Benjamin Thomas, Detlef Bieber und Professor Dieter Rüth für die hervorragende Organisation der Veranstaltung.