Wenn man Menschen auf der Straße fragt, woran sie bei der Hochschule Bochum denken, dann bekommt man sehr häufig zur Antwort: Die SolarCars. Das verwundert nicht, denn über gut 20 Jahre haben die High-Tech-Autos und die Geschichten um Bau, Rennen und Reisen in Deutschland und in aller Welt Faszination und Enthusiasmus ausgelöst. So waren Freude und Erwartungen groß, als die Nachricht umging: Es wird 2022 wieder ein SolarCar geben und es wird auf Europatour gehen!
Aber kein Rennwagen machte sich im Juni schließlich auf den Weg durch geplante 31 europäische Länder, es war ein elektrisch angetriebener Geländewagen. Und das insgesamt 25-köpfige studentische SolarCar-Team war nun nicht mehr einfach unterwegs, um die alte Botschaft zu verkünden: „Elektromobilität ist möglich!“. Vielmehr ging es darum, mit Blick auf eine möglichst nachhaltige Entwicklung Grenzen zu überschreiten, Mobilität vom nachhaltigen Standpunkt aus zu betrachten und mit dem Anliegen Nachhaltigkeit mobil zu werden.
Konsequent hat das Team sich gegen die Entwicklung eines neuen Fahrzeugs und für die Verwendung von 2nd Life- bzw. gebrauchter Komponenten entschieden: das SolarCar ist ein geländegängiger Land Rover Defender 110 aus dem Jahr 2003 geworden, mit einem gebrauchten Tesla-Motor und modular aufgebauter, 36 Quadratmeter großer Solardachkonstruktion, die es erlaubt, die 16 verbauten Batteriemodule vom Gebrauchtwarenhändler nahezu überall auf der Welt nachladen zu können. Unterwegs wurde dann das Solardach um etliche auf dem Boden aufgestellte oder gelegte Sunpower-Module erweitert, um die Ladezeiten zu verkürzen.
Dass zum SolarCar-Team in diesem Projektzyklus auch einige Studentinnen der Nachhaltigkeits-Studiengänge gehörten zeigt, dass sich der Fokus der Aktivitäten insgesamt geweitet hat: das Team hat ein Workshopkonzept entwickelt, das während der Reise in diversen internationalen Bildungseinrichtungen durchgeführt werden konnte, um so ein Verständnis für die Nachhaltigkeit im jeweiligen Land zu bekommen. Und gleichzeitig sollte die Europatour des liebevoll „Landy“ genannten Wagens und seiner ebenfalls vollelektrisch bewegten Begleitfahrzeuge dazu dienen, nach Lösungen zu suchen, wie wir nachhaltiger reisen können.
„Darüber hinaus“, ergänzt Xenia Wiedenmannott, die sich als Teamleitung für Marketing und Nachhaltigkeit eingebracht hat, „haben wir auch bei den Konsumgütern und den Lebensmitteln auf Nachhaltigkeit geachtet. Einige Lebensmittel wurden beispielsweise zuvor im Unverpacktladen gekauft. Ansonsten wurden keine Shampoos, Deos, etc. in Plastikflaschen verwendet, sondern in fester Form und plastikfrei…“
Die Europatour, an der viele Menschen durch das Tagebuch des Teams teilhatten, wurde am Ende nicht 15.000 Kilometer, sondern halb so lang, führte durch 24 Länder und zählte 86 Tage. „Ziel erreicht!“ betont Xenia Wiedenmannott gleichwohl ausdrücklich. Jedenfalls war es immer noch eine „energieautarke“ beeindruckende Reise, von der die Traveller wie die Leser*innen vieles erfahren und gelernt haben.
Auf an die 50 Campingplätzen haben die Sonnenfahrer übernachtet, Solarpanel auf- und abgebaut, geladen, gearbeitet, Do-it-yourself-Produkte hergestellt und ausprobiert und auch gekocht, gespielt und einfach gelebt. Und die Tagebuch-Leser*innen haben mit ihnen darauf gewartet, dass der Ladestand des Landy eeendlich wieder Fahrbereitschaft bedeutete, sie haben mit den Begleitfahrzeugen Odysseen auf der Suche nach funktionierenden Ladesäulen erlebt, sich um die Folgen einer durchgebrannten Sicherung gesorgt und sind mit ihnen durch Metropolen wie Stockholm, Riga, Warschau, Wien und Budapest gestreift.
Mehr als einmal konnte man den Einträgen entnehmen, dass und was es alles von den Hochschulen zu lernen gab, bei denen die deutschen Studierenden zu Gast sein durften und ihr Wissen und Verständnis für Nachhaltigkeit austauschten: An der Kaunas Technical University (KTU) in Litauen konnte man erfahren, wie sich die Universität dort in puncto Energie und Wärme komplett autark mit intelligenten Solaranlagen versorgt (Tag 36), an der TU Wien (Tag 54) reflektierte das SolarCar-Team das eigene Konsumverhalten und lernte Neues über Wasserstofftechnologie und alternative Energiespeicher (Pumpen, Wärmespeicher mit Sand oder Wasser). Und an der ZHAW Wädenswil in der Schweiz (Tag 82) haben Studierende aus verschiedenen Forschungsgruppen ein Kreislaufsystem mit Waschmaschine und Toilette ohne externen Wasser- und Stromanschluss entwickelt.
Wenn es eine Erkenntnis gibt, die die energieautarke Europatour des SolarCar-Teams besonders deutlich gemacht hat, dann die, dass nachhaltiges Reisen in Zukunft einen anderen Spirit haben sollte. Er heißt Slow Travel! „Mit den vollelektrischen Begleitfahrzeugen sind wir alle 200 km an Ladesäulen gefahren, um diese wieder aufzuladen“, erinnert Xenia Wiedenmannott. „Hier braucht man viel Zeit. Aber die Zeit wurde in der Regel genutzt, um das Essen vorzubereiten oder einzukaufen.“ Sie führt außerdem aus: „Auch in Bezug auf die Reichweitenoptimierung und den Verbrauch haben wir den Fokus auf ein langsames Reisen gelegt. Unsere Reisegeschwindigkeit lag bei 60 km/h und wir sind ausschließlich Landstraße statt Autobahn gefahren.“ Und sie fügt augenzwinkernd hinzu: „Dadurch haben wir unfassbar viel von der Landschaft wahrnehmen können!“
Ausdrücklich weist der bisherige Projektleiter Max Frankholz darauf hin, dass das studentische SolarCar-Projekt auch nach dem Europa-Abenteuer diesen Jahres weitergehen soll. Mit einem neuen Team, neuen Zielen und neuen Ideen.
Und warum sollte man Teil des Projekts sein? „Durch die Arbeit im Projekt haben Studierende die Möglichkeit, ihr theoretisch gelerntes Wissen praktisch anzuwenden“, gibt Xenia Wiedenmannott zu bedenken. „Darüber hinaus können erste Kontakte zu Industriepartner*innen geknüpft werden, wodurch sich die Studierenden ein eigenes Netzwerk aufbauen können.“ Und die Landy-Zeit hat ihr gezeigt: „Im Bereich der Teamarbeit liefert das Projekt auf jeden Fall einen Mehrwert!“