Wie wollen wir in Zukunft leben? Wie wollen wir mit unserer Umwelt umgehen und unseren Lebensraum gestalten? Wie könnten insbesondere landwirtschaftlicher und urbaner Lebensraum miteinander zusammen funktionieren oder gar miteinander verschmelzen?
Sehr konkrete und kreative Antworten auf diese Fragen hatten sich im Sommersemester 2021 auch Studierende im Städtebau-Seminar von Prof. Andreas Fritzen gemacht und Ideen entwickelt. Es sei nicht das erste Mal gewesen, dass Prof. Fritzen einen Wettbewerb zur Semesteraufgabe gemacht habe, berichten die Studierenden: Sie haben sich an einem studentischen Ideenwettbewerb des Forschungsprojektes NACHWUCHS (Nachhaltiges Agri-Urbanes zusammenWachsen) beteiligt. Kürzlich wurden die Konzepte „Knotenpunkt“ von Tim Schmelz, Florian Stelter und Lars Fleischer sowie „Forschungsfeld Brühl“ von Melina Kurz, Charlotte Landen und Julian Merle aus 47 Entwürfen ausgewählt und ausgezeichnet.
Ziel des Wettbewerbes war es Anregungen zu innovativen, flächensparenden Siedlungsmodellen in der Wachstumsregion zwischen Rhein und Erft zu gewinnen. Es wurden neue Lösungen für Quartiere mit hoher Wohnqualität gesucht, die die regionale Agrar- und Naturlandschaft integrieren. Die ausgezeichneten Bochumer Teams konnten mit ihren Entwürfen spannende Beiträge für eine nachhaltige Entwicklung leisten.
Melina Kurz, Julian Merle und Charlotte Landen setzten dabei auf die Wissenschaft: Denn ihr Planungsgebiet liegt nicht allzu weit von der Universität Bonn entfernt. Und so fanden sie es ebenfalls naheliegend, in ihrer Vision eine Zweigstelle der landwirtschaftlichen Fakultät der Uni Bonn zu integrieren. „Sie bietet das Potenzial interdisziplinäre Projekte umzusetzen, gemeinsam Innovationen voranzutreiben und Bewohner und Besucher aufzuklären und einzubinden“, fassten sie das Konzept hinter dieser Idee zusammen. Erschließen soll Wissenschaftlern, Besuchern und Bewohnern die Forschungsfeld-Siedlung ein agriurbaner Erfahrungspfad mit verschiedenen angegliederte Stationen, der sich an der bereits bestehenden Fahrradstrasse orientiert.
Er soll dazu anregen, das Bewusstsein für agriurbane Themen zu stärken und zu sensibilisieren. An verschiedenen Mitmachstationen kann Agrikultur ausprobiert und aktiv erlebt werden. Von allen Möglichkeiten wie Fallobstbäume, ein Bach-Biotop oder umweltpädagogische Erklärungstafeln dürfte die Sitzgruppe auf der Hühnerwiese wahrscheinlich die erholsamste sein. Auch der bereits hier ansässige Biobauer wird integriert. Es werden also Anreize für Bewohner*innen und Besucher*innen geschaffen das Thema agriurbane Nachhaltigkeit für sich zu entdecken und zu inspirieren. Und auch zur Wohnsiedlung selbst sollen Nutzgärten in den als soziale Mittelpunkte angelegte Innenhöfen gehören. Wert gelegt haben die angehenden Architekt*innen auch soziale Nachhaltigkeitsaspekte. So legten sie Wert auf bezahlbaren Geschosswohnungsbau, planten familienfreundliche „Townhäuser“ und die Möglichkeiten für Mehrgenerationen- bzw. betreutes Wohnen ein.
Möglichst viele und auch räumlich konzentrierte Aspekte urbanen Lebens und agrikultureller Möglichkeiten zusammenzubringen, das ist auch das Konzept des Neubaugebietes Knotenpunkt, gelegen zwischen dem Erholungsgebiet Erftaue und der landwirtschaftlichen Zone des Fortuna Feldes nördlich es Zentrums der Stadt Bergheim. Und auch bei Tim Schmelz, Florian Stelter und Lars Fleischer geht es darum, auch die Bewohner zu landwirtschaftlichen Akteuren zumachen. So haben sie im Übergang zwischen agrarisch genutzten Flächen und Bebauung Streifen mietbarer Kleinstfelder vorgesehen, an die sich Obstbaumstreifen anschließen, über die die Bewohner frei verfügen können. Und sogar der Quartiersplatz animiert mit Hochbeeten zur Selbstversorgung mit Gemüse und Obst…
Vorbildlich im Knotenpunkt-Quartier sind auch die Überlegungen zur Mobilität seiner Bewohner*innen. In jedem Innenhof sollen etwa überdachte Fahrradstellplätzen mit verschließbaren Akkulademöglichkeiten sein. Und da ist der Fahrradweg, über den wichtige Ziele in allen Richtungen erreichbar sind und an dem eine Lastenrad-Station sowie eine Radwerkstatt liegt. Da sind an der Straße durch die Siedlung Parkbuchen mit Car-Sharing vorgesehen und auch die Anbindung an den Öffentlichen Personennahverkehr ist mit einer Haltestelle des Linienbusses zwischen Niederaußem und Bergheim BF sowie ein Anlaufpunkt für einen Bürgerbus am Quartiersplatz sichergestellt.
Sehr konkret und anschaulich konnten die Pläne beider Gewinnergruppen übrigens auch werden, weil sie sich persönlich vor Ort umgeschaut haben. Und so hat etwa das Team des Forschungsfeldes Brühl den vor Ort vorgefundenen Obst- und Gemüsehof Christian Boley im Nordosten des Planungsgebietes in seine Überlegungen integriert, zumal ein Teil der Fläche ohnehin von dem Bauernhof genutzt wird. Und das Knotenpunkt-Planungstrio stellte fest, dass ihr Standort durch seine ungleiche Bodenqualität eine natürliche Verteilung der Nutzungsflächen nahelegt. Während diese im Nord-Osten des Areals für großflächige Landwirtschaft gut nutzbar ist, fällt die Qualität im Süd-Westen ab. Diese Eigenschaften nimmt der Entwurf durch einen graduellen Übergang vom Agrikulturellen zum Urbanen auf.
Der Wettbewerb ist Teil einer Initiative (Stadt Umland Netzwerk, S.U.N.), mit der die Stadt Köln und ihr linksrheinisches Umland ihre Region mit ihren steigenden Bevölkerungszahlen und zunehmendem Nutzungsdruck auf Siedlungs-, Wirtschafts-, Verkehrs- und Freiflächen weiterentwickeln wollen. Bei dem NACHWUCHS-Wettbewerb wurden insgesamt fünf innovative Ideen für nachhaltige Siedlungsmodelle ausgezeichnet, die beiden Bochumer Konzepte wurden der Öffentlichkeit am ausführlichsten präsentiert. Auch erfreulich für die Bochumer Gewinner: jeweils 1.000 € Preisgeld.